- Zeitensprünge - http://www.xn--zeitensprnge-llb.de -

Fossa Carolina – die unendliche Geschichte

Antwort auf Roland Knauer durch Heribert Illig

Knauer, Roland (2019): „Fragen zum Graben · Vor 1200 Jahren sollte der Karlsgraben Nordsee und Schwarzes Meer verbinden – nun wird das Meisterwerk erforscht“; FAZ, 1. 4. [enthalten im Frankfurter Allgemeine Archiv; hieraus sind die Zitate, sofern nicht anders vermerkt]

Vor kurzem ist wieder einmal ein Artikel zur Erforschung des Karls-Kanals zwischen Nordsee und Schwarzem Meer samt Mittelmeer erschienen – darunter geht es wohl für die überragende Karolingerzeit nicht mehr: „die Verbindung zum Schwarzen Meer und damit auch ins Mittelmeer“. Als wäre jemals ein Potentat auf die wirre Idee verfallen, 2.800 km die Donau bis zu ihrer Mündung durch Feindesland hinabzufahren, um nach einer noch viel größeren Strecke über Schwarzes Meer, Marmara-Meer, Ägäis, Ionisches Meer und Adria das damals karolingische Venedig zu erreichen…. Etwas konkreter gefasst verläuft der unvollendete Kanal zwischen Altmühl und Schwäbischer Rezat. Dabei gibt es vor Beginn der neuen Grabungssaison noch gar nichts Neues zu berichten, sofern es nicht aus den Labors stammt.

Der Auftakt wirkt dem 1. April angemessen: „LEHNIN, im März“, dabei liegt das Kloster Lehnin nahe Potsdam und Brandenburg, auch nicht in der Nähe der Leipziger oder Jenaer Universitäten, die seit sechs Jahren die Fossa erforschen.

Zunächst wird von Knauer die Großbaustelle gewürdigt, die laut einstigen Berichten und laut Grabungsbefunden nie fertig wurde. Dann geht es um die „Herkulesaufgabe“ und die Fähigkeiten damaliger Ingenieure: „Die Bauherren hatten einen günstigen Ort für ihr Vorhaben gewählt. Nicht einmal vier Kilometer lang sollte der Kanal werden“. Da wüsste man gerne, über welche Landvermessungsfähigkeiten und welche Nivelliergeräte die zuständigen Techniker verfügten. Von den Karolingern ist solches nicht bekannt, auch im späteren Mittelalter dauert es noch lange, bis in Mitteleuropa Kanäle gebaut werden: der Naviglio Grande als erster der Mailänder Kanäle wurde erst um 1177 in Angriff genommen und nach 80 Jahren fertiggestellt. Und der zweite Scheitelkanal nach der Fossa? Laut Wikipedia [Stecknitzkanal] war es trotz Fossa „der erste Wasserscheidenkanal in Europa“; er wurde 1392 in Angriff genommen und benötigte für 18 m Höhenunterschied mehrere Schleusen, die den Karolingern mit Sicherheit noch fremd waren. Karl der Große wäre also seinen direkten Nachfolgern volle 600 Jahre voraus gewesen!

Andererseits: Warum einen Kanal für „nicht einmal vier Kilometer“ bauen, der „gerade einmal fünf Meter in die Höhe“ führt und Schleusen noch unbekannt sind? Es hätte genügt, den ohnehin sanften Anstieg in der Dimension zweier Stockwerke so weit zu glätten, dass eine Schleifstrecke für flachbödige, kiellose Boote entsteht. Dann müssten Ochsen vorgespannt werden, die 2 km ziehen und 2 km bremsen. Das wäre für das karolingische ‚Straßennetz‘ nicht ungewöhnlich, bestand es doch großenteils aus alten Römerstraßen, denn von karolingischen Neubauten ist nichts bekannt. So hätte man sich einen unverhältnismäßigen Grabungsaufwand ersparen können.

„Die Analysen der Forscher zeigen, dass der Kanal teilweise mehr als sechs Meter tief in den Boden gegraben war. Der lockere, sandige Untergrund erleichterte den Bauarbeitern zwar das Graben, anstrengend muss es aber trotzdem gewesen sein. Der Aushub ragt neben dem Graben wie ein 40 Meter breiter Wall bis zu 15 Meter über den Grund auf“ [Knauer].

Dieser Aushub hat viele Probleme gemacht. An einigen Stellen drohte er abzurutschen.

„Um das zu verhindern, rammten die Arbeiter an den Seitenwänden des Kanals mächtige Eichenbohlen in den Boden und stabilisierten so die Ufer. Das zeigen die Ausgrabungen der Archäologen um Lukas Werther von der Universität Jena im weniger tief eingegrabenen nördlichen Teil des Kanals“ [ebd.].

Trotzdem konnte nicht verhindert werden, dass während des Baus der tagsüber beiseite geschaffte Aushub nächtens vom Dauerregen wieder heruntergespült wurde, so die Reichsannalen für das Jahr 793. Dabei liegt der Aushub immer noch – nach 1.225 Jahren – bis zu 15 m hoch neben der Fossa. Er hat also dem Regen nicht nur weniger Nächte, sondern sehr vieler Jahre getrotzt. Die Reichsannalen geben allerdings auch an, dass der Kanal 2.000 Schritt lang und 300 Schritt breit war. Umgerechnet auf 4.000 m Länge ergäbe das eine Kanalbreite von 600 m. Nachgewiesen ist: „Die Fahrrinne war 5,20 Meter breit und mehr als einen halben Meter tief“ und das bei Kähnen von „2,80 Meter [B]reite“. Hier konnte nicht gerudert, allenfalls gestakt werden. Es brauchte neben dem Kanal Treidelwege für Menschen, Pferde oder Ochsen. Doch sie sind nicht mehr erkennbar. Man hätte natürlich den Aushub auch flach rings um den Graben verteilen können, dann hätte es kaum Probleme mit dem Abrutschen gegeben. Gemäß wissenschaftlichem Befund

„scheint [die Fossa] vielmehr aus einer Kette von Weihern bestanden zu haben, die ähnlich einer langgezogenen Treppe von der Altmühl aus in Stufen zur höher liegenden Rezat führten. Zwischen den Weihern mussten die Lastkähne vermutlich über Land gezogen werden“.

Es wäre also ohnehin nicht ohne Zugtiere gegangen, die abwechselnd die Kähne zu Land oder zu Wasser zogen. Das erübrigt diesen Kanal.

Das einzige Argument für eine karolingische Fossa sind die Baumringbefunde an im Kanal gefundenen Hölzern, die in den Jahren 792/93 geschlagen worden sein sollen. Wer die Methodik kennt, weiß, dass man nach Ringabfolgen sucht, die ein ähnliches Muster ergeben. Man könnte auch in der weit entfernten Römerzeit suchen. Denn bis zur Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. hätte den Römern ein Scheitelkanal hinüber ins Fränkische genutzt. Sie haben in ihrem Reich zahllose Kanäle gebaut und hatten die Landvermessung samt Nivellierung von auch 100 km langen Aquädukten perfektioniert. Nur ein Beispiel von vielen: Die Fossa Corbulonis wurde ab dem Jahr 47 n. Chr. gebaut, sie war 34,5 km lang, 12 bis 14 Meter breit, 2 Meter tief und verband Rhein und Maas. „Die Fossa Corbulonis gilt als wasserbautechnische Meisterleistung ihrer Zeit und ist abschnittsweise noch heute im Gelände nachzuvollziehen“ [wiki: Fossa Corbulonis]. So ist bei den Römern die Motivation gleichermaßen wie das technische Knowhow zu finden. Aber was hilft es: Wir lassen unsern Karl doch nicht verkommen…

Weitere Literatur

Benecken, Werner (2004): Der so genannte Karlsgraben; Zeitensprünge, 16 (2) 279-308 (auch als Sonderdruck)

Illig, Heribert (2018b): Fossa Carolina – zum Letzten? Der nächste Grabungsbericht; Zeitensprünge, 30 (2) 291-295

(2018a): Fossa carolina – das permanente Scheitern von Karl dem Großen; Zeitensprünge, 30 (1) 92 f.

(2016): „Leuchtturmforschung im Karlsgraben · Eine Fortsetzungsgeschichte; Zeitensprünge, 28 (3) 339-348

(2014b): Ergänzung: Zwei unvollendete Kanalbauversuche, zwei erfolgreiche, aber sinnlose Kanalbauten; Zeitensprünge, 26 (2) 329 f.

(2014a): Römische Fossa Carolina; Zeitensprünge, 26 (2) 300-328 

(1998): Das erfundene Mittelalter; Econ & List, München (heute Ullstein, Berlin), 104-112

Wikipedia: ausgewiesene Artikel, letztmals eingesehen am 4. 4. 2019