Schlagwort: Mittelalter

Nachruf für Kaiser Karl

von Heribert Illig

Aachens Pfalz, Eisenarmierung, Chronik der Mittelalterdebatte

Das grandiose Reich Karls des Großen umfasste halb Europa und kulminierte in seiner Lieblingspfalz Aachen. Von diesem vermeintlichen Glanz kündet – von zu wenigen archäolo­gi­schen Resten abgesehen – allein der Kernbau des Doms. Er wird mit massiven Eisenringankern zusammengehalten. Sind sie damals ‚aus dem Stand heraus‘ erfunden worden? Nein, auch dafür gibt es eine Entwicklungslinie. Doch sie beginnt erst 1163!

Das ist der Schlussstein für die These, dass der Aachener Bau nicht von ca. 800, sondern von ca. 1200 stammt. Damit erweist sich das Karlsreich insgesamt als erfunden. Diese These wird von Heribert Illig seit 30 Jahren vertreten und mit immer neuen und besseren Argumenten unterfüttert.

Die darum entstandene Debatte mit mehr als 180 Kontra­henten verdient einen Rückblick, demonstriert sie doch genau jene Schwächen, wegen denen die Mittelalter­forscher nicht selbst zu dieser Lösung fanden.

Dr. Heribert Illig, * 1947, hat als Systemanalytiker die Chronologiekritik konsequent betrieben, ob in der Antike oder im Mittelalter. Zuletzt hat er sich auch mit den Antipoden Charles Darwin und Jean-Henri Fabre beschäftigt.

20,90 €
1. Auflage Dezember 2023 / Januar 2024
259 Seiten, 53 Abbildungen Pb.
ISBN 9-783928-852616

Bestellen beim Mantis-Verlag

Prof. Dr. Frank Benseler, 22. 9. 1929 – 22. 12. 2021

Eine posthume Danksagung durch Heribert Illig

Frank Benseler hatte von 1972 bis 1994 den Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Paderborn inne, als Kommunist an der „katholischsten Universität des Landes in Paderborn“ [Winkler]. Hier begründete er 1990 die Diskussions-Zeitschrift mit dem Titel „Ethik und Sozialwissenschaften“ [EuS] und dem verblüffenden Untertitel „Streitforum für Erwägungskultur“; unter dem späteren Titel „Erwägen · Wissen · Ethik“ ist sie bis 2015 erschienen. Ich kann mich nicht über Benseler als engagierten Kenner von Georg Lukács oder als Mitherausgeber der Reihe „Soziologische Texte“ äußern, ebenso wenig über seine frühere Lektor-Arbeit beim Luchterhand Literaturverlag. Aber ich habe ihn als neugierigen Wissenschaftler erlebt, der die abwägende Kritik von neuen Gedanken auch noch nach seiner Emeritierung ermöglichte.

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Das Rätsel Lorsch

von Heribert Illig

„Das karolingische Tor ist Monument einstiger Macht und vergangenen Reichtums – und es ist das letzte vollständig erhaltene Gebäude. Die Ruine einer Kirche und Reste einer Klostermauer – das ist alles, was von einem Machtzentrum des frühen Mittelalters im kleinen südhessischen Lorsch übrig ist. Ein Ort fast ohne Gebäude, schwer greifbar, in seiner Geschichte aber mit einer ergreifenden Faszination. […]

»Lorsch ist um 780 ein Name, den jeder Aristokrat, jeder Gelehrte kennt«, sagt der Leiter der Welterbestätte, Hermann Schefers. Wie zu diesem Zeitpunkt das Kloster ausgesehen hat, ist allerdings ein Rätsel. »Wir haben überhaupt keine Vorstellung, wie das karolingische Kloster ausgesehen haben könnte.« Weder der Grundriss noch der Standort der Kirche und auch anderer Gebäude seien bekannt. Ausgegraben sei auch erst etwa ein Drittel der ehemaligen Klosterfläche. Die restliche Fläche freizulegen ist indes nicht geplant. »In intakten Bereichen werden wir nicht graben, da schaut auch die Unesco drauf«, sagt Schefers. […]

Der Versuch einer Rekonstruktion des Klosters in karolingischer Zeit wäre spekulativ und unwissenschaftlich. Bei aller Forschung, bei allen Investitionen, sind für das Kloster Lorsch noch viele Fragen offen. So ist unklar, wo die Königsgräber sind. Zwar hat man einen Sarkophag, in dem der Enkel Karls, König Ludwig der Deutsche (bis 876) beigesetzt worden sein könnte. Doch die Leiche des Herrschers fehlt. »Ich habe keine große Hoffnung, dass es noch Funde gibt, die viel neuen Aufschluss bringen«, sagt Schefers. Auch die Torhalle als letztes vollständig erhaltenes Gebäude gibt Rätsel auf. Die frühere Klostermauer war hier Meter entfernt. Schefers: »Wir haben keine Ahnung über die Funktion des Torbogens. Man weiß nichts über die Nutzung.« [Schrödelsecker]

Schade – Herr Schefers erinnert sich nicht mehr daran, mich für den 25. 09. 1999 zu einem Vortrag im Schatten der Torhalle eingeladen zu haben. Erst sollte ich nur einen Vortrag halten, dann schien eine Podiumsdiskussion reizvoller, dann sollten vier ausgemachte Experten mit mir diskutieren, dann bedauerte Herr Schefers, an diesem Tag in Rom und nicht in Lorsch zu sein, dann wurden die vier Experten durch vier Zweitexperten ersetzt, die nicht diskutieren, sondern nur je ein Statement abgeben wollten, dann blieb auch von ihnen nur ein Genealoge übrig. So konnte ich den ursprünglich geplanten Vortrag vor über 200 Zuhörern halten und die anbrandenden Fragen eines begeisterten Publikums bis Mitternacht beantworten. Das Darmstädter Echo staunte: „Da schweigt die Fachwelt und der Laie wundert sich.“

Daraufhin wurde ich auch in Seligenstadt eingeladen (am 29. 03. 2000), der Einhard-Stadt schlechthin. Dort war man gut unterrichtet und wusste: Von den vier Lorscher Experten hatte der Archäologe zurückgezogen, weil er fürchtete, das nicht durchzuhalten, worauf auch die anderen absagten. So bleibt Kloster Lorsch gerade in Lorsch ein unlösbares Rätsel. Es wäre einfach zu lösen, wenn man auf das karolingische Kloster verzichtet und die ‚antikisierende‘ Torhalle im späten 12. oder 13. Jh. ansetzt [Illig 1997, 249]. Für die Könige Ludwig II. der Deutsche († 876) und Ludwig III. († 882) erübrigen sich die Grabstätten.

Literatur

Bode, Claudia (1999): Da schweigt die Fachwelt und der Laie wundert sich; Darmstädter Echo, 27. 09.

Illig, Heribert (1999): Mumpitz in Absurdistan · Über den von Mediävisten boykottierten Boykott der Mediävisten; Zeitensprünge, 11 (4) 613-628

– (1997): ‚Karolingische‘ Torhallen und das Christentum. Rings um Lorsch und Frauenchiemsee; Zeitensprünge, 9 (2) 239-259

Schrödelsecker, Angela (2021): Lorsch: 30 Jahre Unesco-Welterbe Kloster Lorsch – viele Fragen offen; RNF.de, 12. 12.; www.rnf.de/lorsch-30-jahre-unesco-welterbe-kloster-lorsch-viele-fragen-offen-276913/

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Ein Zeitanker für die frühen arabischen Wissenschaften: Almagest-Übersetzungen

von Heribert Illig

So könnte man es sich vorstellen: Ein europäischer Christ übersetzt einen arabischen Text, der noch keine 30 Jahre alt ist, also nicht länger als eine Generation zurückliegt. Etwa so:

„Das erste greifbare Datum im Leben Michael Scotus’ ist der 18. August 1217. Zu diesem Zeitpunkt vollendete er die Übersetzung eines arabischen astronomischen Werkes, und zwar des Kitāb fi’l-haiʾa des Alpetragius, der im 12. Jahrhundert in al-Andalus lebte“ [wiki: Michael Scotus] und der 1204 gestorben ist.

Tatsächlich verhält es sich meist ganz anders. Die Übersetzungen erfolgten oft erst nach Jahrhunderten. Hier einige Distanzangaben:

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Kalendermutmaßungen Ein Hinweis auf Hannes E. Schlag: „Ein Tag zuviel“

von Heribert Illig

Der nahe Würzburg lebende Ingenieur Hannes E. Schlag beschäftigte sich nach Verkauf seines Unternehmens intensiv mit dem Kalender. 1998 verfasste er ein 350-seitiges Werk (23,5 x 15,5 cm), das er 2008 überarbeitet vorlegte und auch ins Netz stellte. Es geht im Zusammenhang mit dem erfundenen Mittelalter um die durchgehende Zählung der Wochentage und vermeintliche Kalenderreformen, doch vorab eine Kurio­sität.

Kaum lösbar bleibt die Aufgabe aller Kalendermacher, Sonnenjahr (365,2425 d) und Mondjahr (354,3671 d) nahtlos aufeinander abzustimmen. Dabei ist dies ganz einfach mit Hilfe einer irrationalen und einer transzendenten Zahl: durch die Zahl des Goldenen Schnitts (g = 1,6180) und die Kreiszahl π (3,1416).

Sonnenjahr : Mondjahr = 1,030 = 2 x ( g : π). [Schlag 1998, 48]

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Theudelinde, Goldhühner und die Plejaden Zu den Zeiten bis 614, Teil 2

von Heribert Illig

Theudelindes Tod wird in den Jahren 626, 627 oder 628 angesetzt. Steht ihr Sarkophag noch in jenem Dom zu Monza, dessen Vorgängerbau sie gegründet haben soll? Ja, es gibt einen aufgeständerten ‚Fleischfresser‘, wie die Griechen despektierlich die Steinsärge nannten. Doch dem steht eine Überlieferung entgegen: 1308 wurde ihr Grab geöffnet, das sich jedoch unter Bodenniveau befunden hat. Nun erst dürfte eine Umbettung in den antiken Sarkophag erfolgt sein. Die Überlieferung will auch wissen, dass Theudelinde, ihr bereits verstorbene Gatte Agilulf († 615/16) und ihr Sohn Adaloald († 626/28) gemeinsam bestattet worden seien. Sichere Kunde gibt es nur von der Sarkophag-Öffnung im Jahr 1941. Sie erbrachte eine eiserne Lanzenspitze, wenige Beschlagstücke, ein Tongefäß und diverse Niete. Günter Haseloff [374] stellt fest: „Die im Sarkophag gefundene Lanzenspitze spricht eindeutig für eine männliche Bestattung“, ein menschlicher Zahn verweist auf ein jugendliches Individuum, doch für Theudelinda spricht nur die schriftliche Überlieferung. Gleichwohl fällt Haseloff dieses Urteil:

„Es darf daher als sicher gelten, daß in dem Sarkophag Theodelinda und Adaloald bestattet waren, während sich für Agilulf kein unmittelbarer Beweis erbringen läßt.“ [ebd.]

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Theudelinde und das Ende der Arianer. Zu den Zeiten bis 614, Teil 1

von Heribert Illig

Bis heute gibt es zum Verschwinden der arianischen Christen manch skurrile Meinung. So äußert sich Saskia Kerschbaum zu den katholischen Franken, als wären sie arianisch gewesen: „Die anderen arianischen Reiche gingen im Laufe des 7. Jahrhunderts unter.“ Oder laut Historischem Lexikon der Schweiz ist der Arianismus „im Abendland noch bis ins 7. Jh. belegt“ [hls]. Obendrein hätte Bonifaz von Papst Gregor II. noch 722, also im 8. Jh. den Auftrag erhalten, nicht nur heidnischen und iroschottischen Glauben, sondern auch arianische Traditionen zu beseitigen [Ökum. Heilig]. Nun weiß man nur selten, ob ein ganzes Volk seinen Glauben gewechselt hat; aber bei den Germanen zählt die Konversion des Königs, gewissermaßen pars pro toto oder auch: cuius regio, eius religio.

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Slawen und Germanen im Frühmittelalter

Eine Notiz von Heribert Illig

Ein Knochen mit eingeritzten Runen ist in Tschechien zusammen mit frühslawischer Keramik gefunden worden. Es handelt sich um die letzten sechs Zeichen des germanischen Futharks, dem Runenbestand von 24 Zeichen.

Ungelenke Zeichen. Sechs Runen des altgermanischen Alphabets wurden auf einem Viehknochen eingeritzt.
Ungelenke Zeichen. Sechs Runen des altgermanischen Alphabets wurden auf einem Viehknochen eingeritzt.

„Die ‚New York Times‘ weist darauf hin, dass sich tschechische Nationalisten von der archäologischen Studie provoziert fühlten, weil sie die Erzählung der von zwei klar unterscheidbaren ethno-linguistischen Gruppen in dieser Region infrage stellt. Schließlich ist an der Entdeckung auch bedeutend, dass sie der Pionierrolle, die die byzantinischen Gelehrten Kyrill und Method für die Alphabetisierung der Slawen hatten, eine neue Facette hinzufügt. Die beiden Mönche aus Thessaloniki hatten ein eigenes Alphabet, das Glagolitische, erfunden, um Bibeltexte ins Slawische zu übersetzen und die ‚Ungläubigen‘ im Großmährischen Reich zu christianisieren. Nun deutet manches darauf hin, dass es den ersten Schriftkontakt dort schon etwa 300 Jahre früher, durch die Germanen, gegeben haben könnte“ [Murasov].

Diese 300-Jahres-Differenz zwischen Germanen und Slawen hat Manfred Zeller bereits 1996 beobachtet. Leider ist niemand seinem interessanten Hinweis gefolgt.

Literatur

Murasov, Eva (2021): Archäologen entdecken uralte Runen-Inschrift; Der Tagesspiegel, 24. 05. oder früher

Zeller, Manfred (1996): Die Nordwestslawen im Frühmittelalter; Zeitensprünge, 8 (4) 499-524

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Präputium, Karl der Große und das Fest „Beschneidung des Herrn“

von Heribert Illig

Aktuelle Überlegungen innerhalb der katholischen Kirche zum Fest der „Beschneidung des Herrn“ lassen auch an das Resultat der zugrundeliegenden Prozedur und an die Konsequenzen daraus denken.

Über ausartende Reliquienkulte lässt sich leicht spotten. Aber es muss ein tiefes menschliches Bedürfnis sein, sich der einstigen Gegenwart einer Person zu versichern. Dazu braucht man nur an die einbalsamierte Leiche von Wladimir Uljanow, also Lenin vor dem Kreml erinnern oder an Barthaare des Propheten Mohammed, die im Istanbuler Topkapi Serail aufbewahrt und gezeigt werden. Hierzulande sind die Reliquien der katholischen Kirche omnipräsent. In jedem Altar ihrer Kirchen wird eine Reliquie verwahrt, Reliquiare bis hin zu Glasschreinen für Skelette oder auch unverwesliche Leichname stehen zur öffentlichen Ansicht. Hier soll nur ein Blick auf die sog. Herrenreliquien geworfen werden.

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Brenner – warum einfach, wenn es auch schwierig geht? Zur Datierung der ‚Reichsannalen‘

von Heribert Illig

Der große Karl ist des Öfteren über die Alpen gezogen, anno 786 sogar im Winter. Da braucht es nicht zu wundern, dass er 773 für den Krieg gegen die Langobarden sein Heer geteilt und auf zwei getrennten Römerwegen über die Alpen geführt hat: über den Großen St. Bernhard und über den Mont Cenis [Reichsannalen, a. 773]. Ob die Zweiteilung sinnvoll war bleibe dahingestellt, denn die Chance dafür, dass wenigstens eine Hälfte Italien erreicht, könnte sich dadurch verbessern, doch was würde er mit halbierten Heer gegen den Feind ausrichten? Für seine Italienzüge von 776, 780, 786, 787 und 800 werden keine Pässe explizit genannt.

In den ‚Reichsannalen‘ (Annales regni Francorum) steht Diedenhofen, also Thionville als letzter Aufenthaltsort Karls vor dem Langobardenzug, dicht beim Dreiländereck Deutschland – Frankrei<small>ch – Luxemburg. Die einigermaßen direkte Linie würde über den Gotthard-Pass führen, doch der ist von den Römern nicht ausgebaut worden, von den Herrschern im frühen und hohen Mittelalter ohnehin nicht. Insofern wich der Karolinger nach Westen aus, hätte aber auch eine Römerstraße weiter östlich wählen können. Denn Reschenpass (1.504 m Scheitelhöhe) und vor allem Brenner (1.370 m) sind deutlich niedriger als der Große St. Bernhard (2.469 m) und der Mont Cenis (2.083 m). Wir wissen, dass Karl kein Hindernis scheute, aber seine Truppen wären sicher für jeden ersparten Höhenmeter dankbar gewesen. Außerdem reichte die Lombardei im Osten bis zum Herzogtum in Cividale del Friuli, dicht an der heutigen Grenze zu Slowenien. Pavia hätte sich von Nordwesten wie von Nordosten attackieren lassen.

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China und Russland: Nationalistische Geschichtsfälschung

von Heribert Illig

Schon immer ist Geschichte von den Siegern geschrieben worden. Dafür muss man nur die Nationalepen wie die Nationalgeschichte vieler Völker und Zeiten betrachten. Wobei oft nicht mehr erkennbar ist, wo Geschichte geschönt worden ist oder wann eine Niederlage dem Kollektivbewusstsein nicht mehr erträglich war.

So mag es auch dem Mathematik-Professor Anatoli Fomenko (*1945) gegangen sein, der im Niedergang der Sowjetunion damit begann, Geschichtsabläufe zu vergleichen und sich wiederholende Muster zu finden glaubte. Im Ergebnis stellte er fest, ein Block von etwa 300 Jahren wiederhole sich mehrmals in der Geschichte. Das gelte für frühes und hohes Mittelalter, für Römerzeit und Byzanz, außerdem für jüdische Geschichte. Geschichte als Konstrukt – der Gedanke war nicht neu, aber nun weitete er sich zu neuen Dimensionen. Im Frühjahr 1995 erschien sein erstes englischsprachiges Buch zu dieser Thematik. Reaktionen von Mediävisten waren zunächst nicht zu lesen. Dafür schrieb ich vor dem 2. April 1995 meine Rezension, in der ich zunächst Methodik und Resultate schilderte. Auffällig war, dass ihm Regentenlisten ganz vorrangig waren, dazu Rückrechnungen astronomischer Ereignisse, während Archäologie nur eine marginale Rolle spielte. Zur Illustration: Fomenko setzt Christus und Papst Gregor VII. gleich und errechnet aus einer astronomischen Konstellation die Geburt Jesu für das Jahr 1053 n. Chr.! Eine ‚Schlussfolgerung‘ daraus: Die Pyramiden von Gizeh und die gotischen Kathedralen in Europa sind zeitgleich entstanden. Doch das Besondere war: Fomenko ist ein international anerkannter Spezialist für bestimmte Gebiete der Mathematik wie etwa Topologie; er hat(te) einen Lehrstuhl für Mathematik an der Lomonossow-Universität in Moskau; Sympathisanten wie Garry Kasparov (Schachweltmeister von 1985 bis 2000) hoben sein Renommee im Land.

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Alkuin und das Hebräische

von Heribert Illig

Mit Alkuin begegnen wir einmal mehr dem „wichtigsten Berater Karl des Großen“ [wiki: Alkuin]. Der Angelsachse habe von 735 bis 804 gelebt, wäre kein Priester‚ sondern nur Diakon gewesen, aber trotzdem von seinem Überkaiser zum Abt des Klosters Saint-Martin de Tours ernannt worden. „Er gilt als einer der Begründer der Karolingischen Renaissance und ist mitverantwortlich für die Verbreitung der karolingischen Minuskel“; seine drei Bücher über die Trinität darf man „als den Anfang der mittelalterlichen Theologie ansehen“ [ebd.]. Mit ihm steht und fällt der gesamte geistige wie geistliche Aufschwung der Karolingerzeit, fest gegründet auf seiner ‚Heimatbibliothek‘ im Kloster Yorck, die bei realistischer Betrachtung karolingischer Bibliotheken jedes Maß gesprengt hätte [Illig 2017, 27]. Karl d. Gr. soll nicht nur diesen ‚Ausländer‘, sondern auch Dungal und Dicuil, Theodulf oder Paulus Diaconus an seinen Hof geholt haben, doch keinen Byzantiner, keinen Griechen [ebd. 170]. Alkuin lassen sich laut Walter Berschin keine Griechischkenntnisse zuschreiben [ebd. 223]; an hebräische war ohnehin nicht zu denken. Die kryptische Kehrseite dazu:

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Die Anfänge der Masoreten

von Heribert Illig

Die hebräische Tora, also die fünf Bücher Mose wurden und werden von jüdischer Gelehrsamkeit in einem Maße hochgehalten, wie es von den christlichen Kirchen nicht erreicht wird. Seit dem +1. Jh. ist ihr Text in Bezug auf die Konsonanten abgesichert und unveränderlich. Aber Glaube und Geist ruhten nicht, immer besorgt, das Wort Gottes könnte in irgendeiner Weise entstellt werden. Deshalb entwickelten die sog. Masoreten ein präzises System von Vokal- und Betonungszeichen, um die bei einer reinen Konsonantenschrift ständig möglichen Bedeutungsveränderungen zu vermeiden. Das Absichern des Textes wurde immer weiter getrieben, wurden doch die Worte und sogar die Buchstaben abgezählt (numerische Masora) [Achilles/10]. Eine neue Handschrift wird verworfen, wenn sie nicht exakt den vorgegebenen Zahlen entspricht oder sonstige Fehler enthält. Und die Masoreten vokalisierten nicht nur das Konsonantenkontinuum der hebräischen Bibel und gaben Hinweise für den mündlichen Vortrag. Beigefügt wurde die kleine und große Masora. Die kleine besteht aus Zeichen zwischen den Spalten. Dazu gehört z.B. die Angabe, dass sechs Mal in der hebräischen Bibel ein Satz mit den Worten „Da sprach JHWH zu ihm“ steht [Achilles/5]. Die große Masora über und unter den Spalten gibt dann die entsprechenden Stellen an. Das gilt für viele andere Begriffe, Worte und Wendungen [Achilles/9]. So entstand ein erstaunlicher Referenz­apparat an Querverweisen, der zu jedem selten gebrauchten Wort die Häufigkeit und die genauen Stellenangabe liefert. So gesehen, ist in einer Bibelrolle mehr als ein ganzes word-Programm enthalten [Achilles; auch JE: Masorah].

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Karls Wohlgestalt – ein Weihnachtsrätsel für stille Zeiten

von Heribert Illig

Karls Biograph Einhard soll zwei Jahrzehnte am Hofe Karls gelebt haben; so konnte er aus eigener Anschauung schreiben:

„Sein Körper war ansehnlich und stark, seine Größe stach heraus, ohne das rechte Maß zu überschreiten (denn bekanntlich betrug seine Länge sieben seiner Füße)“ [Vita Karoli, c. 22, laut Pat­zold 2013, 22].

Da ich bei Patzold nicht finden konnte, welche Übersetzung er gewählt hat, zitiere ich dieselbe Passage auch in der Übersetzung von Evelyn Scherabon Firchow:

„Karl war kräftig und stark, dabei von hoher Gestalt, die aber das rechte Maß nicht überstieg. Es ist allgemein bekannt, daß er sieben Fuß groß war.“ [Vita Karoli, c. 22]

Der Bezug zur vermeintlichen Realität ist schwierig, ermöglicht das kopflose Skelett im Aachener Karlsschrein eine doch recht variable Körperlänge: zunächst 2,14 m, dann 1,92 m, dann 1,82 m, dann 1,84 m [vgl. Illig 1999, 46]. Furcht und Schrecken kamen auf, als laut Untersuchung von 2010 der Tote „wohl eher eine schlanke Statur aufwies und eine grazile Person war“ [vgl. Illig 2014, 71], denn das wollte nicht zu dem Hünen passen, der ununterbrochen ritt, kämpfte, schwamm und vier Hufeisen auf einmal biegen konnte [Illig 1998, 49]. Demnach kann es sich nicht um Karls Skelett handeln; im schlimmsten Falle um das eines Verbrechers, den der Scharfrichter einst geköpft hat. Diese Fatalität wurde von Aachen wie von den Mediävisten rasch übergangen.

1993 war bis zur Boulevardpresse durchgedrungen, dass bei dem Maß von 7 Fuß Karl eigentlich zu kleine Füße gehabt hätte. So kam es zu der Schlagzeile: „Karl der Große (Schuhgröße 42) ˑ Hat er nie gelebt?“ [Martin 1993; vgl. Illig 1998, 46]. Weiter hatte ich über die Relation von Körpergröße zu Fußlänge damals nicht nachgedacht.

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Aktueller Nachtrag zu „Virtuelle, aber rekonstruierbare Panzerreiter“

von Heribert Illig

Clauss, Martin (2020): Militärgeschichte des Mittelalters; Beck, München. 128 S., 6 Abb., 9,95 €

Es sei einmal erlaubt, einen Wissenschaftler über seinen Vater einzuführen. Manfred Clauss (*1945) forscht und lehrte als Althistoriker; er begegnete uns bei Konstantin dem Großen ebenso wie beim Mithras-Kult oder bei Ramses dem Großen. Sein Sohn Martin Clauss (*1973) hat sich der Mediävistik verschrieben. Von ihm erschienen mehrere Bücher über den „Krieg im Mittelalter“. Heuer folgte eine kleine, konzentrierte Darstellung über die „Militärgeschichte des Mittelalters“. Was kann er uns über das Auftreten der Panzerreiter sagen?

Merowingerzeit: „Sicher ist, dass Pferde genutzt wurden, um Krieger und Material zu transportieren. Weniger eindeutig lässt sich die Frage beantworten, ob die Heere der Merowinger zu Fuß oder zu Pferd kämpften“ [C. 17].

Karl Martell: „Die Franken kämpften bei Tours und Poitiers zu Fuß in einer geschlossenen Formation, gegen welche die Araber anritten“ [C. 25].

Karl der Große: „Je nach Kriegskonstellation wurden unterschiedliche Truppen eingesetzt, mal beritten, mal zu Fuß“ [C. 31]. Er verhängte hohe Strafen für Diebstahl oder Verletzung von Kriegspferden. „Dies weist nicht zwingend darauf hin, dass die karolingische Schlachttaktik auf berittenen Kämpfern basierte, sondern belegt lediglich, dass es speziell für den Krieg benutzte Pferde gab und wie wertvoll sie waren“ [C. 34].

Heinrich I.: Gegen die Ungarn „brauchte Heinrich größere Kontingente berittener Kämpfer. Zum Jahr 932 vermerkt Widukind: »Da der König jetzt aber im Reiterkampf bewährte Kämpfer hatte«“ [C. 37].

Otto II.: Zum Jahr 981 sind im Indiculus Ioricatorum „die berittenen, gepanzerten Krieger verzeichnet“, die bedeutende Fürsten dem Kaiser zuführen mussten. „Insgesamt sind 2090 gepanzerte Reiter aufgeführt“ [C. 39].

Rittertum: „Im Verlauf des 11. und 12. Jahrhunderts entwickelte sich ein Phänomen, das für die mittelalterliche Militärgeschichte und für die Rezeption der Epoche zentral ist: das Rittertum. Eine seiner wesentlichen Wurzeln waren die Reiterkrieger“ [C. 46]. „Seit dem 11. Jahrhundert entstanden zahlreiche Erzählungen, Romane und Gedichte rund um das Thema“ [C. 47]. „Ritter (französisch chevaliers) waren Reiter-Krieger, deren Stellung auf dem Kampf zu Pferd (französisch cheval) basierte. Seit der Karolingerzeit hatte die Bedeutung dieser Kämpfer zugenommen“ [C. 47]. „Daher gehörten zur Ausrüstung eines Ritters mindestens drei Pferde: neben dem Kriegspferd ein Reit- und ein Transportpferd“ [C. 48]. „Der Kriegeradel bezog seine gesellschaftliche Vorrangstellung daraus, dass er die anderen Gruppen schützte – mit Waffengewalt. Im Unterschied zur Karolingerzeit ist hier kein Platz mehr für Bauernkrieger“ [C. 49]. „Die Kampfweise eines gepanzerten Reiters mit Lanze und Schwert“ [C. 50].

Unschwer ist an diesen Zitaten zu erkennen, dass es Panzerreiter zu Karls d. Gr. Zeit nicht gegeben haben kann, zumal die seiner Zeit zugeschriebenen Schriftquellen dubios sind. Deshalb wird die im Kloster Lorsch betriebene Rekonstruktion eines Panzerreiters auch in fünf Jahren keinen Erfolg haben. Ebenso sicher ist, dass wir diesen rekonstruierten Panzerreiter dann gezeigt bekommen. War­um sich um einstige Realität scheren? Oder gar um die Fiktionalität einer Epoche?

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Karl der Große als ‚listenreicher‘ Regent? Steffen Patzold widerlegt sich selbst

Eine Rezension von Heribert Illig

P. = Patzold, Steffen (2020): Wie regierte Karl der Große? Greven, Köln, 128 S., davon 66 Textseiten, 6 Farbabb., 10,- €

Die Frage ist überaus berechtigt: Wie kann ein Riesenreich von einer Million Quadratkilometern regiert werden, wenn der reitende Bote die schnellste Verbindung zwischen zwei Orten darstellt. Pat­zolds Antwort überrascht: Die primären Regierungsinstrumente der Karolinger seien Per­gamentlisten und Kriege gewesen.

Kriege

„Krieg war der Kern ihrer Politik“ [P. 12], permanent Kriege. Patzold geht darauf nicht weiter ein. Nicht nur er übergeht, dass z.B. ein 30-jähriger Krieg gegen die durchwegs bäuerlichen Sachsen mit Sicherheit mangels Beute ein Reich zerstört hätte – nämlich das Fränkische Reich. Die paar Ochsenkarren voller Awarenschätze konnten dieses Fiasko nicht ausgleichen, zumal niemand Steuern zahlte [P. 13]. Außerdem musste der König bzw. Kaiser über den christlichen Glauben wachen, Voraussetzung für seine missionarischen Kriege gegen Bretonen, Dänen, Slawen, Sarazenen und Awaren. Auch die Sachsen mussten missioniert werden, deshalb das Blutgericht bei Verden an der Aller. Während dieses Geschehen noch heute manches Gemüt bewegt, sind Untaten gegen Christen völlig vergessen. Einmal das Blutgericht von Cannstatt: 746 ließ Karl Martells Sohn Karl­mann „viele tausend aufständische Stammesführer (mit Gefolgschaft) wegen Hochverrats festnehmen und hinrichten“ [wiki: Blutgericht zu Cannstatt]. In diesem Fall handelte es sich um bereits getaufte Alamannen. 761 hat dann Pippin d. J. die Stadt Clermont berannt; sie ging im Brand unter und wurde ausgemordet. Hier starben getaufte Aquitanier [Clauss, 9]. Aus Sicht des erfundenen Mittelalters sind beide Ereignisse fiktiv. Doch wir folgen im Weiteren Pat­zolds herkömmlicher Sicht.

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Virtuelle, aber rekonstruierbare Panzerreiter

von Heribert Illig

Das Freilichtlabor Lauresham im UNESCO-Welterbe Areal Kloster Lorsch benennt ein spektakuläres Unternehmen: die Rekonstruktion der kompletten Ausrüstung eines karolingischen Panzerreiters. Unterstützt wird es von den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim. Da stellt sich die Frage, warum diese Wiederherstellung als besonders schwierig bezeichnet wird. Claus Kropp wird als Museumsleiter befragt:

„Zwei Schwerter, eine Flügelkopflanze, Helm, Schild, ein Messer sowie Schwertscheiden und -gürtel haben Kropp und sein Team schon nach alten Vorbildern und mit dem damals üblichen Handwerkszeug fertiggestellt. »Wir haben mit den einfachen Dingen angefangen«, sagt Kropp. Die Rüstung und die Ausstattung des Pferdes werden knifflige Aufgaben. Das sind als archäologische Funde nur einzelne Teile oder auch gar nichts mehr erhalten. Hier müssen sich die Forscher anhand von schriftlichen oder bildlichen Überlieferungen eine Vorstellung erarbeiten. »Bis jedes Detail geklärt ist, dauert es wohl noch fünf Jahre«, sagt der Mittelalterarchäologe.“ [Stark 2020]

Das überrascht, wurde doch 2014 in Erinnerung an Karls Todesjahr ein komplett ausgestatteter Panzerreiter im Aachener Rathaus aufgestellt. Aber er war wohl nur eine mangelhafte Rekonstruktion.

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Belässt es Armin Laschet bei Karl dem Großen?

Eine Glosse von Heribert Illig

Im Arbeitszimmer des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten steht nicht nur eine Büste, sondern eine veritable goldfarbene Statue von Karl dem Großen. Das muss nicht überraschen, reichte doch Karls Reich über den Rhein bis nach Düsseldorf. Und die Hauptstadt darf stolz sein: Sie ist zwar erst im Jahr 1288 und damit 474 Jahre nach Karls Ableben zur Stadt erhoben worden und gilt noch heute ihrem Namen nach als Dorf. Aber sie besitzt trotzdem eine güldene Karlsstatue. Damit ist Düsseldorf gleichauf mit Frankfurt, das vor vier Jahren zu einer neuen Karlsstatue auf ihrer ältesten Mainbrücke kam, der allerdings heuer die Schwertklinge geklaut worden ist. In Berlin könnte das nicht passieren. 2003 wurde der große Karl aus dem graubündischen Müstair nachgegossen, um das Deutsche Historische Museum zu zieren. Dass diese Figur vier Jahrhunderte jünger ist als lange gedacht, stört niemanden. Und diese Figur trägt Reichsapfel und Zepter, ist also gegen Schwerträuber gefeit.

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Ein Dokument zum Übergang von Spätantike zum Mittelalter – und zum Schmunzeln

Ein ebenso lachhafter wie gewichtiger Fund von Heribert Illig

Es geht um die Beschreibung einer frühchristlichen Basilika in Triest, ausgegraben in der Via Madonna del Mare. Es gibt praktisch nur noch Reste der Mosaikböden aus der Zeit um 400 und um 520. Triest ist anders als das nur rund 35 km entfernte Aquileia nicht für frühe Kirchenkunst bekannt. Aber die Ausgrabung hat dazu neue Aufschlüsse erbracht. Dazu zunächst dieser unfreiwillig komische Text.

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