Ein römisches Marschlager in Bielefeld-Sennestadt / Stieghorst

von Andreas Otte

Das kürzlich nachgewiesene Marschlager liegt in der Oerlinghauser Senne unmittelbar am Menkhauser Bach. Der Bach bildet gleichzeitig die Grenze zwischen der Stadt Bielefeld und dem Kreis Lippe bzw. der Stadt Oerlinghausen. Das besondere an diesem Fund ist:

  • das Gelände wurde zum größten Teil nie überbaut oder landwirtschaftlich genutzt
  • der Wall ist daher noch in großen Teilen vorhanden
  • es zeichnen sich zwei Clavicula-Tore ab

In römischer Zeit dürfte sich auf den Gelände ein lockerer Bestand von niedrigen Birken und Eichen in einer Graslandschaft am Rande des Teutoburger Waldes befunden haben. Im 19. Jh. wurde das Gelände aufgeforstet. Hierfür musste der Podsolboden bzw. Ortstein des Senner Sandbodens maschinell aufgebrochen werden, damit die Wurzeln der Bäume überhaupt greifen konnten.

Fundgeschichte

Das Lager wurde ca. Mitte 2017 durch den aus den Niederlanden stammenden René Jansen Venneboer entdeckt. In seiner Freizeit sucht er nach Spuren der römischen Feldzüge im nordrhein-westfälischen Raum. Die Entdeckung erfolgte am PC mithilfe der sogenannten LiDAR-Scans. Mit diesen Scans ist es möglich Relief-Unterschiede im Gelände von ca. 20 cm auszumachen, unabhängig vom Bewuchs. Die Scans sind für NRW unter TIM-Online2 [TIM-Online] bereitgestellt.

Abb. 1: Relief-Sicht auf den nördlichen Wall und das Clavicula-Tor [TIM-Online]
Abb. 1: Relief-Sicht auf den nördlichen Wall und das Clavicula-Tor [TIM-Online]

Das dürfte die Stelle (Abb. 1) gewesen sein, die René Jansen Venneboer auf die Spur des Lagers brachte. Das Clavicula-Tor ist eine deutliche Signatur. Bei einem Clavicula-Tor ist eine Seite des Walls in einem Viertelkreisbogen nach innen gezogen. Hierdurch muss ein eindringender Reiter oder eine Truppe abbremsen und kann nicht so einfach das Lager stürmen.

Abb. 2: Relief-Sicht auf den südöstlichen Wall [TIM-Online]
Abb. 2: Relief-Sicht auf den südöstlichen Wall [TIM-Online]

René Jansen Venneboer meldete den Fund – nach einer ersten Besichtigung vor Ort – an den Landschaftsverband Rheinland, der die Information an den Landschaftsverband Westfalen-Lippe weiterleitete.

Im September 2018 fand eine erste Grabung am südwestlichen Wall (Abb. 10/11/12) statt, der an dieser Stelle noch mit ca. 40 cm Höhe erhalten ist. Ein dem Wall vorgelagerter Spitzgraben wurde in etwa 80 cm Tiefe gefunden. Eine zweite Grabung am Südwall fand in der Nähe von Haus Neuland (ein Bildungszentrum, welches in der südöstlichen Ecke einen Teil des Walls überbaut hat) im Mai 2019 anlässlich der offiziellen Vorstellung des Lagers statt. Vorher war das Lager bereits auf der LWL-Jahrestagung am 11. März 2019 in einem Vortrag von Frau Dr. Tremmel vorgestellt worden [Logistik des Varus]. Wall und Spitzgraben sind nachgewiesen, aber es gibt bisher keine weiteren Funde, trotz einiger Sondengänge im Inneren des Lagers.

Interessant ist auch die Ausbuchtung im südwestlichen Wall (Abb. 2). Hier wurde offenbar versucht, einer Senke auszuweichen.

Diese Strukturen im Relief zu erkennen, ist nicht einfach, insbesondere das nordwestliche Clavicula-Tor (Abb. 3) ist durch forstwirtschaftliche Störungen nicht so gut sichtbar, wie das nordöstliche Tor.

Abb. 3: Relief-Sicht auf das nordwestliche Clavicula-Tor [TIM-Online]
Abb. 3: Relief-Sicht auf das nordwestliche Clavicula-Tor [TIM-Online]

In Detailsichten sind die Tore jedoch gut erkennbar (Abb. 4/5).

Abb. 4: Detail-Sicht nordöstliche Clavicula-Tor [TIM-Online]
Abb. 4: Detail-Sicht nordöstliche Clavicula-Tor [TIM-Online]
Abb. 5: Detail-Sicht westliches Clavicula-Tor [TIM-Online]
Abb. 5: Detail-Sicht westliches Clavicula-Tor [TIM-Online]

Marschlager

Marschlager wurden am Ende eines Marschtages aufgeschlagen und am nächsten Tag bereits wieder verlassen. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sind solche Lager auf dem Rückweg der Truppen erneut benutzt worden. Die geringe Nutzungszeit führt zu einer geringen Wahrscheinlichkeit, Funde zu machen, insbesondere natürlich datierbare Funde.

Lage und Größe

Das Marschlager (Abb. 6) liegt im südlichen Teil im Stadtbezirk Sennestadt, im nördlichen Teil im Bezirk Stieghorst und weist im Nordosten und im Nordwesten Clavicula-Tore auf. An der Ostseite ist vermutlich kein Wall erstellt worden, da der Menkhauser Bach und eine mehrere Meter hohe Geländekante einen natürlichen Schutz darstellen. Im Südwesten, wo ein weiteres Tor zu erwarten wäre, ist der Wall durch einen Abenteuerspielplatz gestört und praktisch nicht mehr vorhanden. Hier könnten nur aufwändige Grabungen den Ort des vermutlich vorhandenen südwestlichen Tors nachweisen. Der erhaltene Wall ist etwa 1400 m lang und umschließt eine ca. 26 Hektar große Fläche. Diese Fläche bietet Platz für 3 Legionen, ca. 25.000 Menschen. Die Punkte in Abb. 6 markieren den Wall, die größeren Kreise die beiden Tore und die weiß-gelblichen Punkte markieren die bisher durchgeführten Schnitte.

Der Grund für die Position des Lagers dürfte der Menkhauser Bach geliefert haben. Dieser Bach ist der einzige Bach in der Senne, der ganzjährig Wasser führt. Der Bach entspringt nur wenige Kilometer nördlich. Die Wasserversorgung der Truppen musste hier im Vordergrund stehen.

Abb. 6: Gesamtsicht auf den Lagerwall mit Markierungen [TIM-Online]
Abb. 6: Gesamtsicht auf den Lagerwall mit Markierungen [TIM-Online]

Südlich des Lagers liegt der alte – bereits bronzezeitliche – Senner Hellweg mit der zugehörigen Furt über den Menkhauser Bach. Heute findet sich dort unter einer Brücke eine künstliche Bifurkation. Dort entspringt der Dalbker Bach aus dem Menkhauser Bach. Der vor Jahrhunderten künstlich angelegte Dalbker Bach ermöglichte die Ansiedlung von Bauernhöfen in der recht trockenen Landschaft und wurde zur Keimzelle der Ortschaft Lipperreihe, heute Stadtteil von Oerlinghausen.

Im Norden des Lagers findet sich ein kleiner Durchgang durch den Teutoburger Wald – das Schoppketal. Diesen Durchgang hatte vermutlich niemand auf dem Schirm, der sich für römische Feldzüge interessierte, man konzentrierte sich mehr auf die größeren Durchgänge: der Bielefelder Pass, die Wistinghauser Schlucht, die Stapelager Schlucht und die Dörenschlucht.

Abb. 7: Der Durchgang durch den Teutoburger Wald am Schoppketal [TIM-Online]
Abb. 7: Der Durchgang durch den Teutoburger Wald am Schopketal [TIM-Online]

Allerdings werden die Truppen wohl nicht den Talweg am Bach genutzt haben, sondern eher einen Höhenweg, vergleichbar mit den auch heute dort noch vorhandenen Wanderwegen (Abb. 7).

Im Süden des Lagers liegt das Lippelager Anreppen in 23 km Entfernung. Nach Norden dürfte mit einem weiteren – noch nicht gefundenen – Zwischenlager bei Herford der Brückenschluss zum Marschlager Barkhausen erfolgt sein. Von dort aus könnten die Truppen mit zwei weiteren Stopps das 2015 gefundene Marschlager bei Wilkenburg erreicht haben.

Datierung

Wegen der Clavicula-Tore und der unregelmäßigen Form wird das Lager vorsichtig in die augusteische Zeit zwischen 1 n.Chr. und 16 n.Chr. datiert. Genauere Hinweise könnten z.B. Münzfunde liefern. Insofern sind die Clavicula-Tore als Ausgrabungsziel sehr interessant, denn hier passierten viele Soldaten und sind Verluste wahrscheinlich. Leider liegen beide Tore auf Privateigentum und die Eigentümer haben einer Ausgrabung bisher nicht zugestimmt. Insbesondere am nordwestlichen Tor besteht Handlungsbedarf. Ein auf dem Tor stehender Baum ist schwer beschädigt (Abb. 8) und muss zeitnah und sachgerecht, ohne Störungen in den Bodenschichten, entfernt werden. Die Datierung über Münzen ist allerdings nicht so genau, wie üblicherweise angegeben wird. Ein identifizierbarer Münzfund liefert in einem ungestörten Zusammenhang zunächst nur eine untere Schranke. Der Fund ist nicht älter als das Münzdatum. Allerdings brauchen Münzen üblicherweise etwas Zeit, um an entlegene Orte zu gelangen und dann auch noch verloren zu werden. Der entdeckte Fundzusammenhang kann also jünger sein, um Jahre oder sogar Jahrzehnte. Das wird oft übersehen. Man denke nur an die aktuell laufende Diskussion über den Halterner Münzhorizont. Wurden die Lager in Haltern erst 16 n.Chr. aufgelassen, dann ist Kalkrieses Anspruch, Ort der Varusschlacht zu sein, auch offiziell nicht mehr zu halten. Buchstäblich geht dann alles zurück auf Anfang [Burkhard].

Bilder

Im folgenden finden sich diverse Aufnahmen des Autors:

Abb. 8: Erhöhung, unter der das nordwestliche Clavicula-Tor liegt
Abb. 8: Erhöhung, unter der das nordwestliche Clavicula-Tor liegt
Abb. 9: Ort des nordwestlichen Clavicula-Tores
Abb. 9: Ort des nordwestlichen Clavicula-Tores
Abb. 10: Abgedeckter Suchschnitt vom September 2018, Blick vom Weg, rechts
Abb. 10: Abgedeckter Suchschnitt vom September 2018, Blick vom Weg, rechts
Abb. 11: Abgedeckter Suchschnitt vom September 2018, Blick vom Weg, mittig
Abb. 11: Abgedeckter Suchschnitt vom September 2018, Blick vom Weg, mittig
Abb. 12: Abgedeckter Suchschnitt vom September 2018, Blick vom Weg, links
Abb. 12: Abgedeckter Suchschnitt vom September 2018, Blick vom Weg, links
Abb. 13: Schnitt durch den Wall mit Spitzgraben aus dem Mai 2019 nahe Haus Neuland
Abb. 13: Schnitt durch den Wall mit Spitzgraben aus dem Mai 2019 nahe Haus Neuland

Literatur

Ewert, Burkhard (2019): Korrigierte Sicht auf Kalkriese. Varusschlacht-Forscher: „Wir stehen am Anfang, nicht am Ende“; NOZ 10.03.2019

Logistik des Varus (2019): Römisches Marschlager bei Bielefeld-Sennestadt entdeckt; http://www.logistik-des-varus.de/?p=740

LWL (2019): Neuer Fund eines römischen Marschlagers in Bielefeld; Pressemitteilung vom 08.05.2019

TIM-Online (2019): TIM Online 2; https://www.tim-online.nrw.de/tim-online2/

 

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag